„Über:brücken“, so hieß im Dezember 2019 die erste Ausstellung von Delphi Space, über die ich im Internet erfuhr. Da gibt es einen Raum in der Emmendinger Straße, der nennt sich Kunstraum “Delphi Space” und wird von einem jungen Kollektiv gemacht. Der Ort war früher eine Metzgerei und heute werden dort heilige Kühe der Kunst geschlachtet. „Wir sind auf der Suche nach einer neuen Form von Offenheit“, so werden die Kulturmacher:innen vom Delphi zitiert. Inmitten von Haircut, Do-it-Yourself-Studios und Nachbarschaftswerk wird hier im Stadtteil ein Kunstort für alle mit besonders niederschwelligem Angebot hochgezogen.

„Phytia autem pronuntiat“, so habe ich noch die lateinischen Worte aus der Schulzeit im Ohr, „Phytia aber verkündet laut“, die Priesterin und Seherin am Ort des heiligen Orakels in Delphi gab ihre Weissagungen auf einem Dreifuß sitzend über einem Erdspalt bekannt und wurde dabei durch ausströmende Dämpfe in Trance versetzt. So weiss es jedenfalls erheblich später der römische Schriftsteller und Philosoph Marcus Tullius Cicero zu berichten.

Warum nun Delphi Space? Das ist ganz einfach. Nach einem Besuch im Rundtempel von Delphi, dem antiken Orakelort und der Erkenntnis, dass das damals der Mittelpunkt der Welt war, hatte Max Siebenhaar die Idee, diesen Ort erst einmal in seinem Berliner Atelier nachzubauen und dann den zu gründenden Kunstort in Freiburg Delphi Space zu nennen, als neuen Ort der Erkenntnis von allen für alle. Inwiefern bei Gründung auch Dämpfe eine Rolle gespielt haben, wird der Chronist wohl nie erfahren. Max Siebenhaar jedenfalls, der Künstler mit Freiburger Wurzeln, war inzwischen aus Berlin nach Freiburg zurückgekehrt und stieß auf Daniel Vollmer, den Kunsthistoriker mit Basler Betätigungsfeld. Dazu gesellte sich noch Lou von der Heyde, die inzwischen allerdings ihre Zelte in Paris aufgeschlagen hat.

Und diese Begegnungen waren und sind ein Glücksfall für Freiburg. Denn was sich Ende 2019 im Stadtquartier Beurbarung in einer gewachsenen Wohnstruktur im kleinen Ladenraum entwickelte, war für viele Bewohnerinnen und Bewohner eine Begegnung mit neuen Seh- und Interpretationsgewohnheiten und kam gut an. Nicht zuletzt auch durch die Freundlichkeit der Macher:innen. Schnell war man beim Du, schnell war eine Tasse Kaffee gemacht und auch schnell wurde eine externe Nachbarschaftshilfe angeboten. Brücken durch Kunst bauen, neue Offenheiten in der Begegnung mit Kunst und der Nachbarschaft suchen. Der Raum als Sinnbild für Sozietät und Beteiligung und als gelebte Brücke zwischen Kunst und Leben. Das Konzept ging auf. Jeden Monat eine andere Ausstellung, jeden Monat ein anderes Thema, Künstler von außerhalb einladen, neue Plattformen gründen, neue Vernetzungen schaffen, Freiburg hatte endlich eine aufstrebende Kunstzone am Puls der Zeit. Jetzt sind wir im Jahre 2020. Und es ging weiter. Inzwischen ist alles recht anders geworden. An der Schnelligkeit der Entwicklung sehen wir, dass das Kollektiv nicht stehen bleiben will, sondern sich jeder neuen Herausforderung stellt.

Die Ideen wurden vielseitiger, die Projekte wurden umfangreicher, die Anträge bei Drittmittelgeber:innen waren von Erfolg gekrönt. Nach vergeblichen Versuchen um das ehemalige OBI-Gelände am Eingang von St. Georgen tat sich eine Möglichkeit auf, den ehemaligen Computerraum ARLT in der Bismarckallee zwischen zu nutzen. Und der Kunstraum gvbk (gegenüber vom Burger King) war erfunden. Dieser wurde nun zusätzlich zur Emmendinger Straße zu einem großen spartenübergreifenden Kulturort und Zentrum ausgebaut mit dem Schwerpunkt Bildender Kunst. Und der Zuspruch war groß! Die Kooperateur:innen wuchsen an und die Förder:innen auch. Und die Programme erreichten immer mehr involvierte Gäste. Down by the river, Salon de Fiestas, A9/A6/A5, OTO-OBO oder Sammlung Simonow, oder die Reihen Performing Mondays, Cinema gvbk, Schreibwerkstatt oder Architekturreihe. Ohne regelmässiges Zutun der Stadt (nur Projektförderung) wurde so die Lücke, die durch den Weggang der beiden Klassen der Karlsruher Akademie der Künste entstanden war auf eine aktive und kreative Art erst einmal geschlossen, zumindest wurde der Kunststandort Freiburg durch gvbk aufgewertet und national bekannt gemacht. Das alles im Ehrenamt mit Projektmitteln und ganz viel idealistischem Einsatz. Dabei handelte und handelt es sich nicht um ein reines Abspulen von spartenübergreifenden Großprojekten, sondern meist entstanden die Projekte in der eigenen Ideenwerkstatt und hatten einen nicht unerheblichen zeitlichen Vorlauf. Auf ein Projekt gehe ich zum Schluss ganz besonders ein. Ich sprach schon vom Glücksfall Delphi Space, der dem Areal um das zukünftige Europaviertel (hoffentlich wird das nie verwirklicht!) eine ganz besondere Note und Prägung verlieh. Dort war der Zugriff ideal, keine Nachbarn in unmittelbarer Nähe, ein großstädtischer Ort, der durch Klarheit und Größe bestach und zum ausgiebigen Experimentieren einlud, immer unter dem Aspekt, die Kunst mit dem Alltag zu verbinden. Doch leider musste dieser Ort dann doch recht schnell einem Solarkaufhaus weichen, die Zwischennutzung war zwar vom bekannten Besitzer durchaus geschätzt, aber die normale Miete war kulturell nicht zu stemmen.

Ein Projekt will ich an dieser Stelle noch besonders hervorheben. Anlässlich der Reinhold Schneider Preisverleihung in der Sparte Bildende Kunst an Cristina Ohlmer, Annette Merkenthaler, Florian Thate und Emeka Udemba schrieb Dietrich Roeschmann am 22. Dezember 2022 in der BZ: „Da die Programmplanung der städtischen Kunsthäuser erneut keinen Raum für eine Ausstellung der Geehrten vorsah, bot Max Siebenhaar vom Freiburger Kollektiv Delphi Space an, die Schau in dessen Raum gvbk an der Bismarckallee auszurichten, – und zwar erstmals als kuratierte Gruppenausstellung, die nicht mehr zwischen Haupt-, Förder- und Ehrenpreisen unterscheidet. Dieser Bruch mit der Anerkennungshierarchie ist zwar überraschend, aber durchaus konsequent – nicht nur, weil die Ermöglichung gemeinschaftlicher Erfahrungen ein wichtiges Anliegen von Delphi Space ist. Die behutsame Verschränkung der Arbeiten nach thematischen Aspekten oder nach Fragen der Materialästhetik schafft einen angemessenen Rahmen, um sich durch die Ausstellung treiben zu lassen.“

Was nun folgte war wieder ein Umzug, nicht zuletzt auch um die Verwirklichung eines schon bewilligten Projektes zu retten, ein Umzug ins Herz der Stadt und in das Geschäfts- und Wohnquartier Unterlinden. Besagtes dreiphasiges Kunstprojekt mit nationaler Beteiligung bekannter Künstler:innen wie Lukas Schneeweiss, Julius von Bismarck, Daniel Richter, Thomas Zipp, Maximiliane Schwarzkopf oder Özlem Altin handelt von Energie:Energeia als lebendige Wirklichkeit und Wirksamkeit und ergeht sich von den Handlungsspielräumen zum schöpferischen Potential, das sich durch den Einsatz von Energie ergibt. Delphi Space schreibt in einer Einführung zum dreiphasigen Projekt: “Zugleich nimmt das Projekt die Kehrseiten des Energiebegriffs in der Gegenwartskultur in den Blick, die sich aus der Kommerzialisierung einer vitalen Lebensführung, der Erschöpfung von Natur und Mensch sowie durch kriegerische Konflikte ergeben.Vor dem Hintergrund einer medialen Allgegenwärtigkeit des Energiebegriffs im politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen setzt Energie:Energeia dabei auf das besondere Vermögen der Künste, alternative Erfahrungsräume gesellschaftlicher Realität zu eröffnen. Zugleich möchte das Projekt eine niederschwellige, breite Teilhabe an zentralen Diskursen der Gegenwart fördern.“ Ich kann nur jedem:er empfehlen, eine der Führungen mitzuerleben, die Daniel Vollmer als Kunsthistoriker und der bildende Künstler Max Siebenhaar anbieten. Im Moment läuft noch die 2. Phase der umfangreichen Ausstellung.

Hier in Unterlinden ist für Delphi Space jetzt erstmal Endstation, ob langfristig oder nur zum Kurzverweilen, das ist noch offen. Vielleicht sollte mal wieder das Orakel in Delphi befragt werden: Wo ist der beste Platz für Kunst und Leben? Wieder in der Emmendinger Straße, die ja die ganze Zeit weiter betrieben wurde, oder an einem neuen größeren Ort oder gar auf einem anderen Planeten?

Da halt ich’s dann mit der Musikgruppe Element of Crime und Sven Regener: “Kunst ist wichtig, damit wir mit unserem Leben und überhaupt mit unserer Existenz klar kommen. Es geht darum, dass man den Menschen die Möglichkeit gibt, sich mit ihrem Leben zu versöhnen.“ Also tun wir es Ihnen an!

Ich beglückwünsche das Delphi-Space-Kollektiv zum Berndt-Koberstein-Preis für Zusammenleben und Solidarität 2023 und danke den Initator:innen für ihr stetes und verdienstvolles Engagement.

3.5.2023
Atai Keller

Die Veranstaltung fand im Weinschlösschen Freiburg statt.

Fotos: Markus Schillberg