Wie steht es um die Musik in Freiburg? Nennen wir es eine “Selbstevaluation”, nennen wir es eine “Notenkonferenz”: Am 25.05.23 hat die Kulturliste zum Spartengespräch in die DELPHI_space/außenstelle nach Unterlinden geladen, und zahlreiche namhafte Einrichtungen, Ensembles, Netzwerke und Musiker:innen sind der Einladung gefolgt.

Unmittelbar nach den durchaus erfolgreichen Haushaltsberatungen wurden das Gesprächsangebot, sowie die Gelegenheit zur Vernetzung dankend angenommen. Dabei ging es neben den nackten Zahlen der Haushaltsberatungen auch um die Marke “Musikstadt Freiburg”. Ist dieses Label noch zeitgemäß? Stimmen hier Anspruch und Wirklichkeit weiterhin überein? Nach einhelliger Meinung der anwesenden Akteur:innen steht fest: Freiburg hat in Sachen Musik weiterhin Herausragendes zu bieten. So bringen es allein die Chöre auf über 235 Ensembles (Laien wie Profis) – in Freiburg sind bis zu 10.000 Sänger:innen aktiv. So die beeindruckende Evaluation von Chorstadt Freiburg e.V. Hinzu kamen in der Vergangenheit bis zu 400 Bands und Musikgruppen, die ihrer Kunst mal mehr, mal weniger sichtbar nachgehen.
Der Musikbereich hat den Härten der Coronapandemie offenbar getrotzt und präsentiert sich erfreulich robust, offen und innovativ. Also alles in bester Ordnung mit der “Musikstadt Freiburg?” Natürlich nicht! Jenseits der Debatte um den “geeigneten Begriff” zur Selbstverortung wurden unterschiedlichste Bedarfe und Probleme benannt und selbstbewusst vorgetragen.

Spartengespräch Musik der Kulturliste Freiburg, Foto: Markus Schillberg

Nach intensivem Austausch konnten vier Punkte herausgearbeitet werden, welche sich im Ergebnis wie folgt zusammenfassen lassen:

Das Wiedereinsetzen der Dynamisierung (eine automatische, prozentuale Erhöhung der Zuschüsse für geförderte Einrichtungen / Ensembles) wurde als positiv bewertet. Mit den “Nachholzprozenten” nach einmaligem Aussetzen war die Erhöhung mit 4,1 Prozent von nennenswertem Umfang. Jedoch begünstigt dieser Mechanismus Einrichtungen und Ensembles mit großen Fördersummen weitaus spürbarer, als jene, die lediglich eine Minimalförderung erhalten. In Normalzeiten wäre diese Rate ohne Zweifel ein Grund zur Freude gewesen. Jedoch haben die massiven Teuerungsraten von zwischenzeitlich über 10% diese Mehrwerte sofort und gleich doppelt aufgefressen. Die Frage nach einer Optimierung dieses guten Mechanismus, im Sinne einer flexibleren Adressierung realer Gegebenheiten, sowie der allgemeinen Fairness, wird zu beantworten sein.

Die Bedeutung der Netzwerke für den Erfolg der jeweiligen Teilbereiche unserer Musiklandschaften wurde im Zuge der Debatte festgestellt. Dabei sind Vereine und Einrichtungen wie unter anderen Chorstadt Freiburg, Interessengemeinschaft Freiburger Komponisten (IFK), Mehrklang – Netzwerk für neue Musik oder die IG Subkultur (Dachverband Nachtkultur) wichtige Wasserstandsmelder, Sprachrohre und unverzichtbare Impulsgeber. An der Schnittstelle zwischen den jeweiligen kulturellen Akteure:innen, Stadtgesellschaft und Kommunalpolitik sind es die von ihnen erarbeiteten und gemeldeten Bedarfe und Ideen, welche die Musikstadt voranbringen. Stagnieren beispielsweise die Mittel für Projektförderung in einem bestimmten Bereich, sind sie es, die eine Erhöhung glaubhaft einfordern können. Grundsätzlich braucht es eine Evaluation der Projekttöpfe, an deren Ende aus unserer Sicht nur eine Stärkung dieser flexiblen Mittel stehen kann. Gleichzeitig haben es die Netzwerke immer schwerer, ihrer Arbeit nachzugehen, da die Situation des Ehrenamtes insgesamt leidet. Man findet schlichtweg immer weniger Freiwillige, die es sich leisten können, ihre Zeit unentgeltlich für die gemeinsame Sache einzusetzen. Gleichzeitig sind es diese Netzwerke, welche wichtige Synergien schaffen können, beispielsweise wenn es um eine gemeinsame Nutzung von Technik und Logistik geht. Hier ist weiterhin viel Potenzial zu erkennen – auch Plattform übergreifend. Eine Stärkung der Netzwerke muss daher auch in Zukunft von höchster Priorität sein, um Innovation und Fortkommen im Bereich Musik zu sichern.

Die Situation der Festivals in Freiburg nach den Herausforderungen der Coronakrise stellt eine gemischte Tüte dar. Einerseits sind die schlimmsten Befürchtungen ausgeblieben. Keines der etablierten Festivals ist kollabiert, die Besucherzahlen haben sich erholt und für unkommerzielle Formate wie Freiburg Stimmt Ein, Easy Street (Straßentheater in den Stadtteilen), sowie Cordiale (Festival von/für Migrant:innen im E-Werk) konnten im Haushalt auch mit Unterstützung der Kulturliste Erfolge erzielt worden. Auf der anderen Seite sind die neuen und innovativen Formate, welche während der Pandemie mit Hilfe von Sonderfördermitteln realisiert werden konnten (Ins Weite Festival des Kommunalen Kinos, Notstrom-Festival des E-Werks, Frei Art Festival von Studio Pro Arte) mangels Unterstützung der Fraktion der Grünen gescheitert. So schaffte es in den Haushaltsberatungen leider keines dieser “neuen” Festivals in eine dauerhafte Förderung.  Es wird nun äußerst schwierig, diese eigentlich beliebten und erfolgreichen Formate im Zuge der Festivaldebatte für die kommenden Jahre nachträglich abzusichern. Ihnen droht mangels Finanzierungsgrundlage die Versandung. Es fehlt zudem ein Festival der lokalen Band- und Musiker:innenszene, sowie der elektronischen Subkultur auf der hiesigen Festivallandkarte. Zur Absicherung des Innovationspotenzials im Bereich Festivals muss die Debatte im Kulturausschuss zeitnah wieder aufgegriffen werden. Die Festivaldebatte wurde von nahezu allen Fraktionen gefordert, verlief jedoch bislang ohne Ergebnis. Es braucht einen starken und wegweisenden Abschluss der Festivaldebatte noch in diesem Jahr. Das meint inklusive zusätzlicher Fördermittel in nennenswerter Höhe. Die Zeit drängt. Die Veranstalter:innen benötigen Planungssicherheit. Die Stadt muss für 2025/26 ein Konzept vorlegen, das seinen Namen auch verdient. Anders formuliert: Wer es mit seinen Festivals ernst meint und die Marke “Musikstadt Freiburg” insgesamt stärken möchte, wird am Ende mehr vorweisen müssen, als bloß einen gemeinsamen Flyer.

Ein ganz konkretes Ergebnis der Gespräche war die Forderung nach Neuauflage des Fests der Innenhöfe. Dieses herausragende Format an ungewöhnlichen Orten traf den Nerv einer Stadtgesellschaft, welche sich in ihrer bunten Vielfalt dank zahlreicher Sonnenstunden (die Freiburg nunmal hat – und die zukünftig nicht weniger werden) wiederfinden konnte.

Für den Bereich der Pop-, Sub- und Nachtkultur wurden in den vergangenen Jahren erste Strukturen geschaffen, um der unstrittigen Problematik des Bühnen- und Clubsterbens zu begegnen. Dennoch bemängelt die subkulterelle Szene, sich allenfalls in Teilen der Stadt Freiburg als vollwertiger kultureller Akteur ernst genommen zu fühlen. Das kürzlich gefasste Verbot von Bluetoothboxen- und Musikinstrumenten in allen relevanten Parkanlagen, ohne Beteiligung der Szene im Vorfeld dieses weitreichenden Beschlusses, war für eine Verbesserung dieser Stimmung nicht zuträglich. Die Schaffung der Stellen von Popsupport und Nachkulturbeauftragten können gegenwärtig nur punktuelle Erfolge erzielen und müssen perspektivisch zu einem ordentlichen Pop- und Nachtkulturbüro personell aufgestockt werden. Unstrittig ist zudem die Forderung nach zusätzlichen offenen Bühnen mit niedrigschwelligem, Genres unspezifischem Angebot. Ebenfalls unstrittig und überfällig ist die Realisierung neuer Proberäume für die Band- und Musiker:innenzene. Mit Blick auf die Schließung des L6 bedarf es unverzüglich einer Lösung.

Dies waren lediglich die wichtigsten Punkte der geführten Debatte. Übergreifend wurde der Wunsch nach einer fortlaufenden Vernetzung geäußert. Die Kulturliste wird dies alleine nicht leisten können, dennoch stehen wir gerne bereit, Kontakte für einen entsprechenden Austausch herzustellen.
Ein erfolgreicher, fortdauernder Austausch ist den Akteur:innen dabei nur zu wünschen: Allein die herausragende Größe des Musikbereiches in Freiburg rechtfertigt ein selbstbewussteres Auftreten vor Politik und Öffentlichkeit. Die Stadt Freiburg täte gut daran, den Fähigkeiten dieses Bereichs mehr Beachtung zu schenken. Nicht jede Stadt verfügt über so eine bunte, innovative Musiklandschaft, welche sich nicht scheut, über den eigenen Tellerrand des jeweiligen Genres oder der Sparte zu blicken und sich die Hände reicht. Allein dafür hat Freiburg das Label “Musikstadt” weiterhin verdient – altbacken oder nicht. Darauf sollte auch eine Stadtspitze zukünftig (wieder) mehr Wert legen. Es kann sich nur lohnen.